Schnell über den Himmel ziehende Wolken, Sonnaufgang im Eiltempo oder sich öffnende Blütenknospe, kaum ein Naturfilm und selbst Kino- oder Fernsehfilme verzichten heute auf Zeitrafferaufnahmen. Und tatsächlich bieten solche Szenen nicht nur dramaturgische Abwechslung, im Zeitraffer wird sichtbar, was wir mit unserer normalen Wahrnehmung nicht erfassen: Bewegungen und Veränderungen die so langsam ablaufen, dass sie unserem Auge entgehen. Genau wie Makrofotografie oder Langzeitbelichtungen gehören Zeitrafferaufnahmen damit für mich zu den faszinierendsten Möglichkeiten von Fotografie und Film – sie erschließen uns eine unsichtbare Welt.

Zeitraffer mit dem Camcorder

Die Standardmethode zur Produktion von Zeitrafferaufnahmen ist einfach: Man lässt die Videokamera die gewünschte Szene, etwa einen Landschaftssausschnitt mit ziehenden Wolken, eine geraume Zeit aufnehmen, und beschleunigt dann im Schnittprogramm den aufgenommenen Clip so lange, bis das Ergebnis den gestalterischen Wünschen entspricht.

Diese Methode hat aber einige Nachteile:

  • Die Aufnahmezeit der meisten Camcorder ist mehr oder weniger beschränkt. Insbesondere Geräte mit Bandaufzeichnung, aus vielerlei Gründen immer noch weit verbreitet, können oft nur eine Stunde am Stück aufzeichnen. Selbst ein schneller Bandwechsel unterbricht dann die kontinuierliche Aufzeichnung und es besteht ein nicht geringes Risiko, den gewählten Ausschnitt zu verrücken. Beides macht eine über den Zeitpunkt des Bandwechsels durchlaufende Zeitraffersequenz unmöglich.
  • Veränderungen des Bildausschnitts wie Zoom oder Schwenk sind nur mit immensem technischen Aufwand zu realisieren, müssen sie doch umgekehrt zur späteren Zeitraffung im Zeitlupentempo durchgeführt werden. Dafür sind dann präzise Motorzooms und Getriebeschwenkköpfe erforderlich.

Alternative DSLR

Eine Alternative zur Aufnahme mit dem Camcorder bieten Intervallaufnahmen mit der digitalen Spiegelreflexkamera (DSLR). Mit festem Kamerastandpunkt und Bildausschnitt werden über eine definierte Zeit eine Serie von Einzelaufnahmen mit exakt gleichem Zeitintervall gemacht und die resultierenden Einzelbilder im Schnittprogramm zu einer kontinuierlichen Videosequenz zusammengefügt. Die Vorteile sind:

  • Die maximale Aufnahmezeit wird lediglich von der Stromversorgung der Kamera begrenzt.
  • Da die Bildgröße jeder aktuellen DSLR selbst die Bildgröße eines FullHD-Videobildes um ein mehrfaches übersteigt, können im Schnittprogramm Zoom- und Ausschnittbewegungen angewandt und der Zeitraffersequenz so mehr Leben eingehaucht werden.

Die Aufgabenstellung

Sobald gegen Ende des Winters die erste Wärmeperiode anbricht nutzen im heimischen Buchenwald die Frühblüher die Gunst der Stunde. Noch bevor die Bäume ihr Laub austreiben und den Waldboden beschatten, erledigen sie ihr Vermehrungsgeschäft. Buschwindröschen, Gelbes Windröschen, Lungenkraut, Leberblümchen und Co. überziehen den lichten Waldboden für wenige Wochen mit einem dichten Blütenteppich.
Ich möchte eine Zeitrafferaufnahme produzieren, in der die Schatten der Bäume über einen Teppich weiß blühender Buschwindröschen ziehen. Auf diese Weise wird die besondere Lichtsituation deutlich und ästhetisch ins Bild gesetzt.
Video starten: Baumschatten wandern über den blütenbedeckten Waldboden
Zeitraffer: Baumschatten wandern über den blütenbedeckten WAldboden. Die zusätzlicher Ausschnittbewegung wurde in der Postproduktion erzeugt.

Gestalterische Überlegungen

Aufnahmezeit

Wie bei allen Zeitrafferaufnahmen ist zunächst zu überlegen, wie lange der gezeigte Vorgang in Echtzeit dauert. Zum Zeitpunkt des Frühlingsanfangs – definiert als Tag-und-Nacht-Gleiche – zieht die Sonne in genau 12 Stunden von Horizont zu Horizont. Für eine Darstellung des wandernden Schattens braucht es aber längst nicht den gesamten Tag. Nach einigen Beobachtungen entscheide ich mich für eine Aufnahmezeit von eineinhalb Stunden.

Buschwindröschen, natureMotion, www.dirkpfuhl.de, 016_2256

Buschwindröschen bedecken im Frühjahr als weißer Teppich den Waldboden

Zeit

Im März und April steht die Sonne noch relativ tief, so das die absolute Beschränkung auf die Morgen- oder Abendstunden entfällt. Wichtiger sind eine über den Aufnahmezeitraum von 1,5 Stunden möglichst konstante Helligkeit und die richtigen Witterungsbedingungen. Der Himmel sollte möglichst wolkenlos sein, denn deren Schatten würde die Aufnahme des Waldbodens empfindlich stören. Und es sollte möglichst windstill sein, denn selbst nur sacht im Wind schwankende Blüten werden im Zeitraffer zu hektisch zappelnden Farbflecken und stören die angestrebte Ruhe und Gleichmäßigkeit der Aufnahme.

Ich wähle deshalb die Vormittagsstunden eines sonnigen Tages, zu denen die Sonne schon ihre volle Helligkeit entfaltet hat, Wind und Wolkenbildung aber erst langsam einsetzen.

Buschwindröschen, natureMotion, www.dirkpfuhl.de, 128_01

Noch fällt viel Licht auf den Waldboden und die unbelaubten Bäume werfen lange Schatten.

Ort

Für die geplante Aufnahme schwebt mir ein Blütenteppich vor, bei dem die Einzelblüten aber noch als solche zu erkennen sind. Ich benötige also eine Halbtotale und damit eine kleine Lichtung von etwa 5 x 5 Metern. Die umstehenden Bäume sollten nicht zu dicht stehen und möglichst dick sein, damit sie wenige, sich klar abzeichnende Schatten werfen. Der Waldboden sollte eben und horizontal sein. Und als optische Auflockerung und perspektivische Belebung wäre ein Baumstumpf oder ein Ast im Bild wünschenswert. Das alles muss dann auch noch so angeordnet sein, dass die Kamera zwischen Sonne und Waldboden aufgestellt werden kann, also nordöstlich vom Kamerastandpunkt.

Mit am wichtigsten sind nun zwei oder drei größere Bäume links hinter dem Kamerastandpunkt, deren Schatten dann von links nach rechts auf dem Waldboden durch das Bild wandern.

All diese Anforderungen machen es nicht gerade leicht einen geeigneten Ort zu finden. Ich entscheide mich für ein Waldstück westlich von Göttingen zwischen Groß-Ellershausen und Dransfeld.

Seitenverhältnis

Je nach Norm ist das Seitenverhältnis eines Videobildes 16:9, 4:3 oder gar 5:4. Die DSLR liefert aber ein Seitenverhältnis von 3:2. Für das heute wichtigste Seitenverhältnis von 16:9 fallen später Bildteile im oberen und/oder unteren Bildrand weg und es dürfen sich deshalb dort keine wichtigen Motivteile befinden.

Aufnahmeintervall

Die fertige Zeitraffersequenz soll 20 Sekunden lang sein. Um genügend Spielraum für den Schnitt zu haben brauche ich also 30 Sekunden Rohmaterial. Bei Intervallaufnahmen ergeben 25 Einzelbilder eine Sekunde Video nach PAL-Norm (eine DSLR liefert keine Halbbilder). 30 Sekunden multipliziert mit 25 Bildern pro Sekunde ergibt 750 Bilder.

1,5 Stunden Aufnahmezeit entsprechen 5400 Sekunden. Diese Zeit dividiert durch die benötigten 750 Aufnahmen ergibt das Aufnahmeintervall von 7,2 Sekunden.

7 Sekunden sind allerdings für Intervallaufnahmen von sich kontinuierlich bewegenden Schatten schon recht lang. Ich möchte nicht riskieren, dass die Schatten am Ende durch das Bild ruckeln, und entscheide mich daher für einen Intervall von 5 Sekunden und 1080 Aufnahmen.

Aufnahmetechnik und Realisation

Die Kamera wird zur gewählten Zeit am gewählten Ort aufgebaut und der richtige Ausschnitt eingestellt. Da die Sonne, wie gewünscht, niedrig steht, darf die Kamera selbst maximal einen Meter über dem Boden sein, damit ihr eigener Schatten nicht im Bild sichtbar wird. Dabei ergibt sich nun eine weitere Voraussetzung für den passenden Aufnahmeort: Es ist nicht nur der Waldboden mit dem Blütenteppich im Bild, sondern auch ein Stück „Horizont“, also die Bäume am gegenüberliegenden Rand meiner kleinen Lichtung. Der Wald dahinter darf nun nicht etwa irgendwelche störenden Details zeigen, wie etwa einen Hochstand. Und schon gar nicht dürfen gar Menschen dort durch das Bild laufen!

Einige Probeaufnahmen liefern nun die richtigen Werte für Belichtung und Blende. ALLE Kameraeinstellungen für Belichtung, Blende, Weisabgleich, Brennweite und Focus müssen jetzt unbedingt manuell eingestellt werden! Ansonsten kann es passieren, dass durch sich kurzfristig ändernde Lichtbedingungen, wie Wolkenzug oder Anteil von Schatten im Bild, einzelne Bilder anders belichtet werden. In der späteren Zeitraffersequenz fallen abweichend belichtete Bilder aber als flackernde Frames heraus und zerstören den gesamten Clip!

Die von mir verwendete Nikon D200 verfügt über einen eingebauten Intervall-Timer, der aber etwas umständlich einzustellen ist. Ich habe zusätzlich einen kleinen externen Timer von Ownuser, der die Kamera über das Fernauslöserkabel steuert. Die D200 schafft die erforderlichen 1080 Aufnahmen nur dann mit einer Akkuladung, wenn ich den Kontrollmonitor ausschalte. Ein Akkuwechsel innerhalb der Aufnahmeserie wäre in dem gewählten Intervall zwar gerade so zu schaffen, birgt aber die selben Risiken wie schon eingangs für Camcorder beschrieben.

Als Bildqualität wähle ich RAW. Zwar wäre für die anschließende Weiterverarbeitung auch JPEG in mittlerer Qualität völlig ausreichend, ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass meine D200 trotz manuell eingestellter Belichtung keineswegs 100% identische Belichtung für alle Bilder der Serie liefert. Mit den RAW-Dateien habe ich später die Möglichkeit, die abweichend belichteten Bilder zu korrigieren, die ansonsten die Zeitraffersequenz zerstören würden.

Sind alle Vorbereitungen abgeschlossen, wird die Intervallserie gestartet. Die nächsten eineinhalb Stunden arbeitet die Kamera selbständig und ich nutze die Zeit entweder, um mich mit einer zweiten Kamera dem Frühlingswald zu widmen oder setze mich mit einem guten Buch gemütlich an einen nahen Baumstamm.

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Die Stärke des Zeitraffer-Effekts kann im Schnittprogramm erhöht und genau eingestellt werden.

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Die Bildgröße erlaubt 2- und 3-dimensionale Effekte, die aufwändige Kamerabewegungen simulieren.

Bildverarbeitung

Ebenso wie bei der Aufnahme müssen auch bei der Entwicklung der RAW-Bilder für alle Dateien identische Einstellungen gewählt werden. Fallen einzelne Bilder durch abweichende Belichtung heraus, müssen sie korrigiert werden.

Die Bilder werden dann als JPEG gespeichert und in das Schnittprogramm importiert.

Timeline

Die gesamte Bildserie wird als Set von Einzelaufnahmen in der Reihenfolge ihrer Nummerierung auf die Timeline des Schnittprogramms gelegt. Je nach Renderzeit kann nun schon direkt das erste Ergebnis betrachtet werden.

Da die Einzelbilder erheblich größer sind, als das Videobild, kann dieser Unterschied für weitere Bildgestaltung genutzt werden: Ein- und Auszoomen, horizontale und vertikale Bewegungen. Unter Umständen können sogar Schwenks mit Hilfe von Bildverkrümmung und 3D-Editoren simuliert werden. Soll der gesamte Bildausschnitt zu sehen sein, müssen die Einzelbilder in jedem Fall entsprechend verkleinert werden.

Auch eine nachträgliche Veränderung der Zeitraffung ist in der Regel möglich, allerdings nur in Richtung weiterer Beschleunigung.

Fazit

Mit der DSLR lassen sich Zeitrafferaufnahmen unkompliziert und sicher erstellen. Das größere Bildformat erlaubt in der Postproduktion weitere kreative Gestaltungsmöglichkeiten. Sollen Vorgänge im Zeitraffer dargestellt werden, die in Echtzeit mehre Stunden oder gar Tage dauern, sind Intervallaufnahmen ohnehin die einzige Möglichkeit.

weitere Artikel zum Thema

Zeitraffer mit der DSLR – Teil 2: Flicker und Deflicker

 

17. November 2009 | Blog, Fotografie, Videoproduktion, Werkstattbuch | 24.685 views

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