Es ist kalt, lausig kalt.

Trotz dicker Kleidung, Mütze und Handschuhe zittern mir Hände und Beine. Seit 6 Uhr sitze ich nun, mehr oder weniger unbeweglich, in einer winzigen Holzhütte von knapp einsvierzig Höhe und starre durch das Objektiv hinaus auf die umliegende Wiese. Im fahlen Licht des anbrechenden Tages sind dort gut 400 Kraniche gelandet und stehen dicht beieinander an einer großen Pfütze etwa 150 Meter entfernt. Ihr lautes Trompeten übertönt sogar das Rauschen des Windes, der an diesem Morgen heftig an den Sichtluken meines Fotoverstecks rüttelt.

Optimale Bedingungen für Kraniche und Naturfotografen

Ich bin hier um Kraniche zu filmen und zu fotografieren. Auf dem Zug von ihren Winterquartieren im warmen Spanien zu den Brutgebieten im nördlichen Skandinavien, machen einige Zehntausend der imposanten Vögel Rast an der Boddenküste im nördlichen Mecklenburg-Vorpommern. Für ein bis zwei Wochen unterbrechen sie ihre Reise und fressen sich neue Kraftreserven für die restlichen 1500 Flugkilometer an. Nordvorpommern bietet den Kranichen dafür optimale Bedingungen: geschützte Schlafplätze auf den Inseln der Boddenküste und weite Ackerflächen auf dem dünn besiedelten Festland. Hierhin schwärmen die Tiere jeden Morgen in kleineren Trupps aus, fressen den ganzen Tag und kehren bei Sonnenuntergang zurück.


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Kranichrast in Nordvorpommern | Video bei YouTube

Um den Verlust an Saatgut für die Landwirte zu begrenzen, wurden mehrere Ablenkungsfütterungsflächen eingerichtet. Hier wird regelmäßig Mais ausgebracht, und dieses Angebot lassen sich die Kraniche nicht entgehen. Neben dem obligatorischen Beobachtungsstand am Rand der Fläche, wurden zusätzlich mitten drin drei feste Fotoverstecke aufgestellt, die von interessierten Naturfotografen gegen eine Spende tageweise gemietet werden können. Hier habe ich die einmalige Gelegenheit Kraniche aus nächster Nähe zu beobachten.

Fressen, gehen, tanzen

Der stürmische Wind macht mir zu schaffen. Nicht nur weil es zieht wie Hechtsuppe und ich nur mühsam ein Zähneklappern unterdrücken kann. Viel schlimmer ist, dass die Videokamera anfängt zu schwingen und bei langen Brennweiten kaum ruhige Aufnahmen möglich sind. Und sauberen Ton kriege ich so auch nicht zustande. Zum Glück werden die Fotoaufnahmen davon nicht ganz so stark beeinträchtigt.

Kranichtanz

Kranichtanz

Gegen 11 Uhr reißt endlich der bisher graue Himmel auf und die Sonne kommt zum Vorschein. Die Kraniche haben sich mittlerweile gemächlich schreitend über die gesamte Fläche verteilt und stehen zu Dutzenden auch um mein Versteck herum. Endlich kann ich nun loslegen und das einsetzende Jagdfieber und etwas Bewegung fangen an, mich allmählich wieder aufzuwärmen.

Auf den ersten Blick scheint wenig spektakuläres zupassieren. Beständig im Boden pickend ziehen die Tiere über den Acker. Bei näherem Hinsehen sind aber bereits Paare und Familienverbände zu erkennen. Und auch Streitigkeiten bleiben nicht aus. Mal richten sich zwei aneinander vorbeigehende Tiere plötzlich auf und drohen mit geöffnetem Schnabel, mal springt ein Tier mit ausgebreiteten Flügeln gut einen Meter in die Luft. Solche Luftsprünge weiten sich oft zu regelrechten Tänzen aus. Immer wieder springen die Tiere hoch, schlagen mit den Flügeln, laufen ein paar Schritte mit wippenden Kopfbewegungen und springen erneut. Nicht immer machen die umstehenden Tiere bereitwillig Platz. Manchmal entwickeln sich regelrechte Tanzduelle, bei denen zwei Tiere solange um die Wette springen, bis ein Vogel schließlich klein beigibt und abzieht.

Kraniche beim fressen

Kraniche beim fressen

Dieses Verhalten aus wenigen Metern Entfernung beobachten zu können, ist schon etwas ganz besonderes. Allerdings muss ich mich auch im Fotoversteck vorsichtig und ruhig verhalten, sonst entfernen sich die umsichtigen Tiere schnell wieder. Das gilt besonders für die Bewegungen des Objektivs, das so ruhig und langsam wie irgend möglich geführt werden sollte. Und auch wenn ich aus einer der Sichtluken nach interessanten Motiven Ausschau halte, darf ich mich nicht zu nah ans Fenster wagen. Zusätzlich zu Schiebeläden sind die Luken innen mit dunkelgrünen Vorhängen ausgestattet. Je nach Bedarf kann ich diese dicht um das Objektiv herum drappieren oder selbst mit einem Auge durch einen winzigen Schlitz hindurchspähen. Und selbstredend vermeide ich jedes laute Geräusch.

Um die Mittagszeit wird es etwas ruhiger um mich herum. Die Kraniche scheinen vorerst gesättigt und sind relativ inaktiv. Das Licht ist jetzt ohnehin etwas hart und so lege ich ebenfalls eine Pause ein. Ein gutes Buch hilft mir jetzt, dass mir die Zeit in dem engen Versteck nicht zu lang wird. Denn mal abgesehen davon, dass die Tiere noch bis zum Sonnenuntergang da sein werden und sich noch viele schöne Motive ergeben dürften, darf ich das Versteck auch auf keinen Fall verlassen, bevor nicht alle Kraniche wieder abgezogen sind.

Nahaufnahmen auch ohne Supertele

Am späteren Nachmittag geht es dann weiter. Die Kraniche nehmen den zweiten Gang zu sich, picken, gehen und tanzen. Das Licht wird immer besser.

Fotoverstecke auf der Ablenkungsfütterungsfläche

Fotoverstecke auf der Ablenkungsfütterungsfläche

Die Fotoverstecke haben Sichtluken an allen vier Seiten. Dadurch habe ich nun wahlweise Gegenlicht, Seitenlicht oder frontales Licht. Ich arbeite mit nur einem Stativ, auf dem zumeist die Videokamera montiert ist. Zwar nutze ich auch immer wieder ein 500er Tele zum fotografieren, meist reicht mir aber ein 300er. Diese Optik verfügt zudem über einen Bildstabilisator und so kann ich Freihand schnell und flexibel auf die wechselnden Motive reagieren.

Der Sonnenuntergang präsentiert sich dann sehr malerisch direkt vor meiner westlichen Aussichtsluke. Ich entschließe mich spontan die Videokamera mit festem Ausschnitt mitlaufen zu lassen, um die untergehende Sonne und den farbigen Wolkenzug später als Zeitraffer aufbereiten zu können. Mit dem Fotoapparat verfolge ich dann parallel den Abzug der Kraniche, die plötzlich und wie auf Kommando in Trupps auffliegen und zu ihren Schlafplätzen zurückkehren.

Es ist 18:30 als die Sonne verschwunden und das stetige Trompeten der Kraniche verklungen ist. Nach fast 13 Stunden kann ich endlich mein Versteck verlassen und meine steifen Glieder strecken.

 

22. April 2010 | Blog, Fotografie, Referenzen, Referenzen Videoproduktion, Videoproduktion, Werkstattbuch | 8.076 views

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